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7.5 Sekunden

siebeneinhalb Sekunden hörst du den Puls und atmest

ruhig den Schlaf in die Lungen, fühlt sich die Uhr

mit Sand, stockt der Sekundenzeiger, tropfen die

Worte leise, läuft eine Fliege senkrecht auf der

endlosen Wand, noch siebeneinhalb Sekunden weiss ich

dass du bei mir bist, keiner kann dich mir nehmen,

weil ich dich eben erfand.

Aus einem Brief

Eins. «Es ist acht Uhr am Morgen.

Es schneit, aber irgendwie geizig.

Die Schneeflocken, nein, besser – die Schneekrümel setzen sich, klein und staubig, aufs Trottoir mit grauen Menschen, welche geduldig und mechanisch dem Tag entgegenlaufen. Sieht aus wie in einem Stummfilm, der Eindruck verstärkt sich noch durch das „Bildrauschen“ des Schnees und die Stille.

Gleich kommt das Tram, dieser hellwarme Wackelzirkus auf Schienen mit Live-Programm und echten Nummern! Glänzende Augen am frühen Morgen, oh, das kann nur die Grippewelle. Das Tram ist eine geniale Zeitmaschine: beim Aussteigen ist es fast Viertel nach Acht. Grelles Lachen vertreibt die Vögel, unterbricht die Nebelwanderung der Gedanken. Der Stummfilm ist längst zum Thriller übergegangen».

 

Zwei. «Bei mir im Kopf gibt es eine gemütliche Zweizimmerwohnung.

In einem (gemütlichen) Zimmer wohne ich allein. Nein, es gibt hie und da natürlich Besuch mit und ohne, laute Zoogeräusche, orgiastisches Saufgelage mit verschmierten Wänden und fäkaler Sprache – Unordnung mit einem Wort. Aber ich räume regelmässig auf.

Im (gemütlichen) Zimmer Nr.2 wohne ich mit allen zusammen und da wird es manchmal sehr lustig! Nein, wir lachen auch viel! Wie im russischen Zug. Aber natürlich auch furchtbar eng. Dann flüchte ich eben ins erste Zimmer und bin „asozial“ und nach aussen hermetisch abgeriegelt.

Logisch, es hat auch ein WC und eine Küche, aber dort bin ich selten. WC ist meistens nie da, wenn ich dringend muss und in der Küche bekomme ich blöderweise immer Fleischeslust und gehe ins Bett, das im Zimmer Nr.1 steht».

 

Drei. «Meine Hände kennen einander.

Sie beide, der nackte Tassenhenkel und das leblose Gelb des Mondes spielen heute Nacht ein eigenartiges Spiel. Sie spielen gegen mich.

Mein Gesicht bleibt im Schatten, die Augen sind offen.

 

Ich sehe wie das Dunkle in Zimmerecken sticht, die Stiche werden immer schwarzer, als wollte die Nacht durch die Ecken flüchten. Allmählich stauen sich Flecken und Striche um mich herum, sie bewegen sich langsam und nehmen Gestalt an. Wenn ich die Augen zumache, verschwinden sie nicht. Töne und Stimmen sind zu hören.

Ein Lächeln drängt sich auf mein Gesicht, lässt sich nicht unterdrücken, die Zimmerdecke zeigt unverzüglich perfekte Zahnreihen. Minuten vergehen. Das schwarze Gewirr an den Wänden überwältigt mich mit dem unerschöpflichen Angebot an Formen und Charakteren. Für heute reicht es, vielen Dank. Alle bis auf meine Tasse und den süssen Mund auf der Tür können gehen.

 

Jetzt sehe ich einen klaren Sternenhimmel vor mir, die Sterne sind aus Kuchenglasur, die, auf mein Bett tropfend, Bienen und Sommervögel anlockt. Eine Riesige Raupe mit zitronengelben Flügeln setzt sich neben mich. Der süsse Mund gehört auch zu ihr. Insomnie lohnt sich eben manchmal. „Phänomenal!“- miaut die Raupe und wickelt sich in meine Decke ein. Schnitt.

Du - und auch jetzt

Ein Standbild im hektischen Gewirr meines Gedankenbahnhofs

inmitten betriebsamer Menschenflut auf dem Treffpunkt gespannter Nervenbahnen:

Du. Mit den Augen eines Kindes. Und deine lässig überzogene Coolness im Blick

Wann war`s nochmal? Jetzt. Und auch jetzt und weiter so.

Dein Zug fährt ein. Nimm ihn, der Zug gewinnt, denn er ist abgefahren!

Lass mir den nächsten Zug, das Zeug ist gut.

In meinem Fernglas ist dein Bild so gross – ich trink es leer, auf dich und auf das Glück

sich umzudrehen in der Menschenflut. Zurück. Am Treffpunkt sehnlichster Vorahnung

bleibt stehn die Bahnhofsuhr. Daneben – Du.

Jetzt. Und auch jetzt und weiter so.

An **

Ich kann in Deine Augen sehen.

Ja, ich finde gar ein Vergnügen dabei, in den Abgrund Deiner Pupillen zu blicken – genau so lang, dass ich mich gerade noch an deren farblosem Rand halten mag.

 

Dann schweift mein Blick ab und entkommt Dir knapp,

verweilt an Belanglosem,

nur um schnell an die eisige Kante des Nichts zurück zu finden.

 

Deine Gegenwart tut gut – ich weiss mit Sicherheit keine bessere Zuflucht als unsere Sackgasse.

Du bist der Garant meines langen und schönen Sturzflugs,

klar und verschlossen sind Deine Züge.

 

In Dir lauscht aber alles voll beklemmender Spannung,

denn mein Wort kann Dich erschüttern, rausreissen aus Deiner sicheren Mitte.

 

Dann fallen wir beide,

das Grundlose bekommt festen Boden,

die Zeit zerfällt in Augenblicke, deren Vergänglichkeit uns verletzt.

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